Gedämpfte Schwingung - mit Herleitung
Herleitungen für den harmonischen Oszillator gibt es zuhauf. Ich finde jedoch häufig Beispiele, bei denen einzelne Schritte ohne weitere Begründung gegangen werden. Ansätze fallen dann sozusagen "vom Himmel", oder es scheint zumindest so. Natürlich werden auch hier Verfahren und Formeln vorausgesetzt, diese können aber Sammlungen entnommen werden oder benötigen lediglich Kenntnisse der Differentialrechnung. Zunächst aber soll das Applet dazu dienen, verschiedene Schwingungsvorgänge zu untersuchen. Daran schließt sich die Herleitung an.
Herleitung des Weg-Zeit-Gesetzes für den gedämpften Schwinger
Eine Vorbetrachtung:
Der wohl einfachste Oszillator ist das Masse-Feder-Pendel. Sein Verhalten wird bestimmt durch die Federkonstante D der verwendeten Schraubenfeder sowie die angehängt Masse m. Für den Fall einer fehlenden Dämpfung sind durch diese beiden Größen die Kreisfrequenz , die Frequenz und die Schwingungsdauer festgelegt. Hergeleitet werden können die Formeln für diese Größen mithilfe des Newton'schen Axioms , umgeformt zu . Kommt nun noch einen dämpfende, zur Geschwindigkeit des Pendels proportionale Kraft hinzu, dann lautet die Gleichung und gekürzt mit m . Der Faktor r bestimmt den Grad der Dämpfung. Die letzte Gleichung könnte nun bereits einem Lösungsansatz unterzogen werden. Ich möchte aber einen Zusammenhang für verschiedene harmonische Oszillatoren finden. Daher betrachte ich zuerst einmal den Faktor vor der Ausgangsfunktion. Man sieht, dass dieser das Quadrat der Kreisfrequenz ist. Später wird sich zeigen, dass auch der Faktor vor der ersten Ableitung verallgemeinert werden kann. In der Lösung der Differentialgleichung tritt nämlich der Term mehrfach auf. Er wird kurzerhand mit einem eigenen Platzhalter bezeichnet. Die Differentialgleichung kann nun etwas allgemeiner zu
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aufgeschrieben werden.
Lösung der Differentialgleichung:Beim Thema Schwingungen und deren Beschreibung denkt man sicher sofort an eine Sinus- oder Kosinus-Funktion. Da sich beim Ableiten aber beide Funktionen abwechseln, wird das Finden der Parameter und damit unnötig erschwert. Die einfachste Funktion als Ansatz ist hier die Euler'sche Exponentialfunktion mit der Gleichung . Diese und deren Ableitungen eingesetzt, führt zu . Die Funktion ist dann Lösung der Differentialgleichung, wenn b die quadratische Gleichung löst. Das ist für oder der Fall. Damit hat die Differentialgleichung schon einmal zwei verschiedene Lösungen. Da die Differentialgleichung linear und homogen ist, sind auch alle Linearkombinationen der beiden Lösungsfunktionen jeweils Lösung. Anhand der Festlegungen für die Anfangsbedingungen und können die Koeffizienten c1 und c2 bestimmt werden. An dieser Stelle darf das Problem durchaus als gelöst betrachtet werden. Ich möchte aber zu einer expliziten Darstellung kommen, in die lediglich die Kenngrößen des Schwingers und die Anfangsbedingungen werden. Im Ergebnis steht dann ein konkretes Weg-Zeit- und nach Belieben auch Geschwindigkeits-Zeit-Gesetz (im mechanischen Fall, entsprechend für andere Größen).
Eine (fast) allgemeine Schwingungsgleichung:Bisher sind lediglich eine allgemeine Lösungsfunktion und ein lineares Gleichungssystem für die Koeffizienten gefunden. Insbesondere die Form der Funktion sieht auf den ersten Blick nicht danach aus, als könne sie Schwingungen beschreiben. Also seien neben den Kenngrößen nun auch die Anfangsbedingungen bekannt. Ohne die Allgemeinheit zu verletzen, verwende ich für die Elongation eine Ortsgröße und deren Ableitung nach der Zeit eine Geschwindigkeit . Somit liefert das Gleichungssystem die Lösung und . In die Linearkombination aus dem letzten Abschnitt eingesetzt, ergibt sich ein allgemeines Ergebnis:
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Hiermit könnte man vorerst zufrieden sein; die Funktionsgleichung enthält neben der Zeit nur gegebene Größen. Zumindest für kann y(t) in einem Koordinatensystem mit reellen Achsen problemlos dargestellt werden. Physikalisch handelt es sich hier wegen der hohen Dämpfung um den Kriechfall, bei dem der Schwinger, einmal ausgelenkt, allmählich ohne ein periodisches Verhalten in die Gleichgewichtslage zurückkehrt. Was ist aber, wenn oder gar ? Im ersten Fall werden die beiden Nenner im Funktionsterm null. Dieser gilt dann also nicht. Im nächsten Abschnitt wird dafür Abhilfe geschaffen. Für Jedoch wird lediglich die dreifach vorkommende Wurzel imaginär. Aus physikalischer Sicht sollte y(t) aber trotzdem reell sein. Umformungen des Funktionsterms zeigen, dass das auch so ist: Aus beiden Summanden kann zunächst ausgeklammert werden. Dagegen löse ich im gleichen Schritt die beiden jetzt noch vorhandenen Klammern auf und erhalte . Zusammenfassen in der eckigen Klammer liefert dann oder
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Neben einem übersichtlicheren Aussehen eignet sich diese Form des Terms auch sehr gut dazu zu zeigen, dass die Lösung auch direkt für den Schwingfall mit gilt. Mit den Hilfen , und ist die Funktionsgleichung ebenso
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Daraus ist ersichtlich, dass sich auch der Schwingfall reell berechnen lässt. Bleibt nur noch das "fast" in der Überschrift. Was ist, wenn die Wurzel null wird? Die Antwort liefert der nächste Abschnitt.
Der aperiodische Grenzfall:Als einziges Problem verbleibt nur noch der Fall . Wie bereits erwähnt, ist der gefundene Funktionsterm hier nicht definiert. Der Kosinus-Summand in (4) ist bezüglich der beiden Parameter stetig. Er wird zu . Für den zweiten Summanden hilft eine Grenzwertbetrachtung unter Zuhilfenahme der Beziehung . Es ist dann
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Das Ersetzen der Summanden in (4) durch die Grenzwerte liefert das Ergebnis
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Anzumerken ist, dass die letzten Schritte genauso mit der Hyperbolicus-Funktion hätten gegangen werden können. Das Ergebnis wäre das gleiche gewesen. Jetzt sind für alle Kenngrößen und Anfangsbedingungen die entsprechenden Bewegungsgesetze gefunden. In der Auswertung möchte ich nun noch einige Beispiele betrachten.
Auswertung:In der Zusammenfassung kann nun das Verhalten eines linear gedämpften harmonischen Schwingers durch die Gleichung
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vollständig beschrieben werden. Zur rechnerischen Vereinfachung sollten im Schwingfall unter den Wurzeln lediglich Minuend und Subtrahend vertauscht und die Hyberbolicus- durch die entsprechenden Winkelfunktionen ersetzt werden. In Geogebra-CAS ist das jedoch nicht nötig. Jetzt sollen einige Spezialfälle betrachtet werden. Gern wird für den Schwingfall die Gleichung als die Beschreibung des Falls angegeben, bei dem das Pendel ausgelenkt und losgelassen wird. Für scheint das auch richtig zu sein. Mit dem nächsten Beispiel wird jedoch ersichtlich, dass das so nicht stimmt. Man kann wohl für eine hinreichend kleine Dämpfung und den zweiten Summanden in der Klammer vernachlässigen, was die Darstellung zu einer guten Näherung macht. Dieser Umstand wird oft übersehen und es kommt zur falschen Vorstellung über den Zusammenhang zwischen der Funktionsgleichung und dem tatsächlichen Bewegungsvorgang. Richtigerweise stimmt die Formulierung für , was im Experiment wohl eher nicht realisiert wird. Übrigens ist unter dieser Voraussetzung auch der aperiodische Grenzfall durch die simple Exponentialfunktion darstellbar. Setzt man hingegen zur korrekten Beschreibung des Falls, bei dem ein ausgelenkter Schwinger losgelassen wird, lediglich , dann ergibt sich nur eine geringe Vereinfachung. Dadurch wird die Bewegungsgleichung zu
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Die folgenden Darstellungen zeigen, wie nahe die beiden Sonderfälle beieinander liegen:
Hier ist ein Schwinger mit gestartet worden. Deutlich ist, dass der Graph sofort fallend ist. Die Steigungen von Funktionsgraph und der Einhüllenden sind gleich. | Wenn derselbe Schwinger hingegen wirklich ohne Anfangsgeschwindigkeit startet, so startet die Einhüllende bei einem leicht höheren Wert. Die waagerechte Tangente an den Graphen ist zu erwarten, da beispielsweise der Pendelkörper eines mechanischen Schwingers erst beschleunigen muss. |
Der Fall ist ebenso denkbar. Beispielsweise könnte ein Fadenpendel aus der Ruhelage angestoßen werden. Das Nullsetzen und Umformungen führen zu
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Die Wirkung der Vereinfachungen kann anhand der Einstellung an den Schiebereglern getestet werden. Weitere empfehlenswerte Sonderfälle zeigt die folgende Tabelle: